In den letzten Wochen haben wir bereits über die Libratus Challenge berichtet und in dem Zusammenhang mit dem Präsidenten des Deutschen Poker Sportbundes Stephan Kalhamer über seine Einschätzungen gesprochen. Stephan hat uns in dem Zusammenhang die mathematischen Ansätze des Algorithmus und deren Wirkung auf die menschlichen Widersacher beschrieben. In dem Zusammenhang wird eine weitere Frage aufgeworfen. Poker – im speziellen die Variante No Limit Texas Hold’em – wird in Deutschland als Glücksspiel eingestuft. Aber wie kann es sein, dass eine künstliche Intelligenz im Rahmen der beschriebenen „Libratus Challenge“ menschliche Spieler besiegen kann, wenn Poker ein Glücksspiel sein soll? Vor allem die Tatsache, dass im Rahmen der Challenge der Glücksfaktor durch die Spiegelung der Karten minimiert worden ist, stützt unsere Theorie weiter. Somit wirkt diese Niederlage des Menschen gegen die Maschine nochmal ganz anders. Wenn es sich hier um ein Glücksspiel handeln würde, dann könnte der Algorithmus von Libratus niemals so effizient arbeiten und den Gegnern entgegentreten.

Diese neuen Erkenntnisse haben uns dazu veranlasst mit unserem Kurator und Rechtsberater des Deutschen Poker Sportbundes RA Axel Mittig zu sprechen und die rechtlichen Aspekte dieser Geschehnisse rund um die Libratus Challenge weiter zu beleuchten.

Lukas:
Hallo Axel, schön dass Du Dir die Zeit für uns genommen hast und uns einen Einblick in Deine Sicht auf die Libratus Challenge und ihre Folgen geben möchtest.
Wie hast Du die Challenge verfolgt? Und was war Dein erster Eindruck?

Axel:
Ich habe die Challenge anfänglich sporadisch begleitet und schließlich mit großem Interesse das Ergebnis und die Berichte verfolgt. Als ich das Ergebnis gesehen habe, war ich sehr überrascht. Mein erster Gedanke war der, dass ich mir die Frage stelle, wie lange der Online Pokermarkt noch bestehen wird bzw. wie die Anbieter gewährleisten wollen, dass man tatsächlich gegen menschliche Gegner und nicht gegen eine Maschine spielt.

Lukas:
Warst Du sehr verwundert über das Ergebnis und die Entwicklung der Technik?

Axel:
Ich war äußerst überrascht, dass man bereits so effiziente Algorithmen entwerfen kann, die im Rahmen des No Limit Hold’em so wirksam den menschlichen Widersachern begegnen können.

Lukas:
Hast Du diese Entwicklung der Technik so schnell erwartet bzw. damit gerechnet?

Axel:
Auf gar keinen Fall habe ich das erwartet und vor allem nicht so schnell. Für mich war das No Limit Hold’em noch immer viel zu komplex, aber da wurden wir nun ja eines Besseren belehrt.

Lukas:
Wie siehst Du die Auswirkung des Ergebnisses auf die strafrechtliche Einordnung des Pokers – speziell No Limit Texas Hold’em – als Glücksspiel?

Axel:
In dem Zusammenhang muss man zunächst Poker im Verein als Pokersport und Poker um Geldeinsätze voneinander trennen.
Der Pokersport im Verein ist gesondert zu betrachten, da aufgrund der fehlenden Geldeinsätze und dem Spiel um Punkte der Tatbestand des Glückspiels nicht erfüllt ist.
Poker mit Geldeinsätzen wiederum ist in Deutschland bislang strafrechtlich als Glücksspiel eingestuft. Die Argumentation dafür liegt darin, dass man auf den sogenannten Durchschnittsspieler abstellt und davon ausgeht, dass bei ihm der Erfolg hauptsächlich vom Zufall abhängt. Daran ändern nach Auffassung der Strafgerichte einzelne Spieler, die aufgrund von besonderen Fähigkeiten besser abschneiden nichts. Entscheidend für die Einordnung als Glücksspiel ist immer dieser ominöse Durchschnittsspieler.

Lukas:
Das würde somit bedeuten, dass „Libratus“ auch als überdurchschnittlich eingestuft werden würde und somit nichts an der Einordnung des Spiels ändern würde?

Axel:
Ja, ganz genau. Libratus würde hier klar durch seine Algorithmen als überdurchschnittlich eingestuft werden und somit die grundsätzliche Einordnung als Glücksspiel nicht verändern.

Lukas:
Für mich und wohl auch viele Pokerspieler in Deutschland sehr schwer nachzuvollziehen. Wie siehst Du generell die Situation des Pokers in Deutschland.

Axel:
Die Definition der Rechtsprechung sehe ich sehr kritisch. Meines Erachtens ist sie völlig untauglich, eine nachvollziehbare und rechtssichere Abgrenzung vom Glücks- zum Geschicklichkeitsspiel vorzunehmen. Stattdessen öffnet sie Tür und Tor für willkürliche Entscheidungen. Mit der genannten Definition kann ich als Richter praktisch alles begründen – auch die Steuerpflicht einzelner Spieler. Ich muss sie nur als „überdurchschnittlich befähigt“ ansehen. Gründe hierfür finde ich als Richter in jedem Einzelfall. Wir beobachten dementsprechend, dass die Gerichte – und zwar sowohl die Straf- als auch die Finanzgerichte – vom Ergebnis her argumentieren und das ist im Rahmen der Rechtsprechung in einem Rechtsstaat nie ein gutes Zeichen.
Hinzu tritt, dass sich Straf- und Finanzgerichte inzwischen in entscheidenden Punkten komplett widersprechen. Das FG Münster hat z.B. kürzlich in einem Urteil ausgeführt, Poker sei auch für den Durchschnittsspieler kein Glücksspiel. Das würde ein Strafgericht eben genau anders sehen. Für den Bürger/Spieler ist es also kaum noch abzuschätzen, was erlaubt ist und was unter Strafe steht. Die derzeitige Regelung und die Praxis der Gerichte stoßen aus meiner Sicht daher auch auf verfassungsrechtliche Bedenken.

Lukas:
Siehst Du denn auch eine positive Perspektive für den Poker in Deutschland durch die neuerlichen Entwicklungen in Bezug auf die Libratus Challenge?

Axel:
Juristisch wird sich dadurch, wie bereits erwähnt nicht viel ändern. Aber vielleicht ist es am Ende ein kleines Puzzleteil, um bestimmte Richter zum Nachdenken zu bringen. Vielleicht wird die Frage aufgeworfen, ob man an die Glücksspieldefinition nicht mal anders herangehen sollte.

Lukas:
Poker scheint in Deutschland nach wie vor mit seinen Vorurteilen zu kämpfen. Ist das der vermeintlich eigentliche Grund für die Einstufung als Glücksspiel?

Axel:
Ja das ist nach meiner Einschätzung sicher einer der Hauptgründe. Zudem verdient der Staat am Glücksspiel auch sehr viel Geld und hat sicherlich ein Interesse daran, die privaten Anbieter vom Markt fern zu halten.

Lukas:
Eine fast schon philosophische Frage im Zusammenhang mit dem Pokerspiel, ist die Frage nach der prozentualen Verteilung von Glück und Können bei No Limit Texas Hold’em. Wie würdest Du das für Dich einstufen?

Axel:
Das ist sehr schwer zu sagen – ich persönlich würde das für mich in einem Verhältnis von 60:40, bei 60% Können, einstufen.

Lukas:
Ein Spiel das mehr als 50% auf Können basiert – darf man das Spiel als Glücksspiel einstufen?

Axel:
Nach meinem Ermessen eigentlich nicht. Aber wie schon gerade erwähnt, behilft sich die Rechtsprechung hier mit einem „Semi-Bluff“.

Lukas:
Was müsste aus Deiner Sicht passieren, damit die öffentliche Wahrnehmung des Pokers in Deutschland verbessert wird??

Axel:
Die Förderung des Pokers durch Verbands- und Vereinsarbeit, um den Fokus auf das Spiel zu setzen und darüber die breite Öffentlichkeit für das Spiel zu begeistern. Ergänzend ein ansprechendes Spielangebot bereitstellen und durch Wettbewerbe den sportlichen Aspekt fördern. Das sind nach meiner Einschätzung gute Wege, um den monetär belasteten Vorurteilen des Spiels entgegenzuwirken. Ich bin kein Gegner von Poker mit Geldeinsätzen, aber leider ist der historische Ruf des Pokers dadurch sicherlich beeinträchtigt.

Lukas:
Danke für Deine Zeit und die neuen Erkenntnisse, die wir durch unser Gespräch in unsere Community weitertragen dürfen. Am Ende bleibt mir die Frage – was würdest Du Dir in dem Zusammenhang für die nähere Zukunft wünschen?

Axel:
Wünschenswert wäre eine einheitliche, klare gesetzliche Regelung, so dass man als Spieler und Veranstalter besser einschätzen kann, was man darf und was man nicht darf.

Lukas:
Ja das würden wir uns wohl alle wünschen! Vielen Dank Axel und bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt „DPSB im Dialog…“

© 2017, Lukas Lange für den DPSB